Dienstag, 18. September 2012

Horyu Ji und die Frage nach stilistischen griechischen Einflüssen







Auf vielen meiner Reisen von Südamerika bis Indien sind mir die kolonialen Verwaltungsgebäude und Hotels im Stile Palladios, diese versteinerten Symbole kolonialistischer und imperialistischer Machtdemonstration auf die Nerven gegangen.
Wenn wir nun an einem schwülen  Junitag durch die großen Tore den Horyu Ji betreten, diese Tempelanlage in der Prinz Shotoku, unter Unterstützung von Kaiserin Suiko den Auftrag seines verstorbenen Vaters Yomei umgesetzt hat, dann sträubt sich etwas in mir, in der bauchigen Wölbung der Holzsäulen, im angeblich „archaischen“ Lächeln und im Faltenwurf der Gewänder der Statuen schon wieder, in eurozentristischer Weise, angeblich altgriechische Stileinflüsse zu entdecken. Bin ich denn, geographisch ebenso wie geistig, so weit gereist, um hier, in der so eigenständigen japanischen Kunst schon wieder alte europäischen Ideale zu entdecken?
Faktum ist aber doch, dass am Bau des Tempels zahllose koreanische und chinesische Baumeister, Bildschnitzer und Maler beteiligt waren und das Bildprogramm des Mahayanabuddhismus, der vom 6. Bis ins 9.Jhdt. in China, bis ins 12.Jhdt. in Indien, einflußreich war, nach Nara transportierten, wo es Wuzeln schlug und sich, trotz der Angriffe der japanischen Nazis, eigentlich bis heute hielt.
Wie schaut es nun mit dem angeblich griechischen Einfluss auf diesen Mahyanabudhismus aus ?
Nach der Eroberung Baktriens durch Alexander den Großen 327v.Chr. hielten sich, auch nach dem Tod Alexanders, griechische Könige in der Region (Seleukos, Eucratides, Dototis, Demetrius), es wurden auch Griechen zwangsangesiedelt und Künstler, hauptsächlich aus dem Gebiet des heutigen Syrien, waren dort tätig. Münzen waren auf einer Seite griechisch, auf der anderen indisch beschriftet.
Es entstand eine griechisch-indische Mischkultur, mit einem bunten Pantheon, in welchem neben Apollo, Herakles und Helios auch Shiva und bald auch Buddha residierten.
Der Mauryaherrscher Ashoka, diese seltsame Figur, die sich, nach einer angeblich brutalen, kriegerischen Vergangenheit engagiert dem Buddhismus zuwandte und für dessen Verbreitung sorgte, beeinflusste sicher auch massiv Baktrien, hatte er doch griechische Gesandte an seinem Hof.
Nachdem in diesem Land im Hindukusch, geografisch dem heutigen Pakistan und Afghanistan entsprechend, die griechischen Fürsten von den nomadischen Eroberern der Kushans, in der älteren Literatur als weiße Hunnen oder Sykthen! Bezeichnet abgelöst wurden, blieb die Region weiterhin ein Schmelztiegel griechischer, indischer, teilweise auch sassanidischer Kultur.
Das sogenannte dritte buddhistische Konzil im Nordwesten Indiens, in Kaschmir (rechnet man ein mythisches, ganz frühes Konzil dazu, dann ist es das Vierte) , nach unserer Zeitrechnung bald nach Christi Geburt, formulierte erstmals das ideologische Programm des Mahayana-Buddhismus, eine wichtige Voraussetzung für die spätere Missionierung Chinas und Japans mit ihren nordasiatisch „schamanischen“ Traditionen von Taoismus und Shintoismus.
Baktrien, das merkwürdige Gandhara-Königreich im Hindukusch, hielt sich bis zum achten Jhdt. bevor es im Sand der Wüste Takla Makan versank, von mongolischen Eroberern ausgelöscht wurde. (Die prächtigen,stehenden Buddhasatuen von Bamyan wurden erst von den Taliban in die Luft gesprengt.)
Über den nördlichen Zweig der damals sehr belebten Seidenstraße brachten chinesischePilger und Gelehrte wie Fa Hsien, Sung Yün oder Hsüang Tsang den Buddhismus ab etwa 400 n.Chr. nach China, von wo er teilweise über Korea, das ja 668 passager von den Tang erobert wurde, nach Japan. Es nimmt nicht Wunder, dass gerade der legendäre China-Missionar Daruma (jap.) sich noch heute derart volkstümlicher Beliebtheit erfreut.
Das ganze indo-gräco-sino-beeinflußte Ensemble von Himmelswächtern, Torwächtern, Gottheiten, das die Reise der Missionare mitgemacht hat, ist noch heute in Japan in jedem buddhistischen Tempel zu besichtigen. Die Identitäten der Götter sind wohl in erster Linie hinduistisch und buddhistisch, ihre Kleidung, ihre Haltung, Haartracht und die Gebäude in denen sie einquartiert sind, sind aber zumindest teilweise, auf dem Weg über Baktrien, diesen Schmelztiegel der Kulturen, auch griechisch beeinflusst.
Kunstgeschichtlich scheint gesichert, dass gerade dieses Baktrien äußerst wichtig für die Entwicklung buddhistischer Ikonografie war.
Nach dem Fundort Gandhara im Tal von Kabul benannt entstand hier beispielsweise erstmals ein anthropomorphes Abbild Shakyamunis, der zuvor nur als Baum, als Stupa, Gesetzesrad etc. symbolisch dargestellt wurde. Götter in Menschengestalt waren anscheinend wirklich eine Spezialität der alten Griechen.
Diese ersten Buddhastatuen waren praktisch, vom Faltenwurf der Gewänder, Haarknoten, Haltung und Lächeln identisch mit den Apollostatuen und Heliosstatuen griechischen Ursprungs. Die stehende Position wurde erst später, natürlich unter indischem Einfluss, in den Yogasitz übergeführt.
Mit dem oft erwähnten „archaischen“ Lächeln ist es so eine Sache. Ist doch diese Kunst zumindest fünf Jahrhunderte v.Chr. zu datieren und kann schwerlich Baktrien beeinflusst haben. Aber bereits in hellenistischer Zeit und im römischen Reich unter Augustus und Hadrian gab es in der darstellenden Kunst Greek-Revival-Bewegungen, Neo-Attische Moden, die versuchten, diese altertümlichen Stilmerkmale wiederzubeleben.
Beim wunderbaren Lächeln der Nara-Buddhas, dem milden Ausdruck der traumverändernden (Yumechigai) Kannon, der überschlanken Kudara mit der Wasserflasche in der Hand oder dem eleganten Buddha, der jetzt im Frauentempel Chugu Ji im Osten des Horyu Ji thront, dürfte es aber doch wohl eher um einen Parallelismus als um einen Einfluss gehen.
Spannend bleibt die Frage der auffallenden Entasis (eingedeutscht Entase), der Anspannung der Säulen, wie beim Bicepsmuskel oder bei der Wadenmuskulatur. Dieses so offensichtlich anthropomorphe Architekturelement scheint so typisch griechisch, macht es doch den Menschenkörper, der ein Gewicht trägt, zum Vorbild der Architektur. Anthropos metron panton.
Im Lichte dieser Überlegungen kehre ich nochmals zurück in den Horyu Ji, zu den Terakottadarstellungen vom Leben Shakyamunis im Untergeschoss der Pagode, besonders beeindruckt von den klagenden Mönchen an der Leiche des Erleuchteten. Noch einmal betrete ich in Gedanken die große Halle des Kondo, deren Dämmerlicht uns nach dem grellen Mittagslicht des weiten, aber sehr homogen wirkenden Hofes- voller Schulklassen in Uniformen, wohl tut. Unheimlich umstehen die vier riesigen Himmelswächter, auf bizarren besiegten Dämonen stehend, die zentrale Shakyamunigruppe.
An den Wänden die einzigartigen Fresken des buddhistischen Paradieses die mich an Ajanta, aber auch an Pompej erinnern.
Dann, nach unserem Abstecher (sic!) zum Glockenturm hinauf durchs Museum und doch noch, schon müde, in die Halle von Shotokus Seele, wo mir ein geduldiger, äußerst liebenswürdiger Mönch meinem Spitznamen Inari schwungvoll in mein Pilgerbuch malt während eine Schlange anderer Pilger wartet, ohne zu Murren.
Bei schwülem Weter schlendern wir dann durch eine Hinterstrasse zu Udon, Soba &Co, fahren im Taxi zum Kofun Grab und mit der Bahn wieder nach Nara zu kalligrafischen Ryokan-Wirtin. Ach, diese reizende Wirtin ! In einem anderen Leben hat sie mich vielleicht im Gebrauch eines anderen Pinsels unterwiesen ! Deshalb spüre ich heute wohl das Karma in meinem linken Knie etwas schmerzlicher.

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