Auf vielen meiner Reisen von Südamerika bis Indien sind mir die kolonialen Verwaltungsgebäude und Hotels im Stile Palladios, diese versteinerten Symbole kolonialistischer und imperialistischer Machtdemonstration auf die Nerven gegangen.
Wenn wir nun an einem
schwülen Junitag durch die großen Tore
den Horyu Ji betreten, diese Tempelanlage in der Prinz Shotoku, unter
Unterstützung von Kaiserin Suiko den Auftrag seines verstorbenen Vaters Yomei
umgesetzt hat, dann sträubt sich etwas in mir, in der bauchigen Wölbung der
Holzsäulen, im angeblich „archaischen“ Lächeln und im Faltenwurf der Gewänder
der Statuen schon wieder, in eurozentristischer Weise, angeblich altgriechische
Stileinflüsse zu entdecken. Bin ich denn, geographisch ebenso wie geistig, so
weit gereist, um hier, in der so eigenständigen japanischen Kunst schon wieder
alte europäischen Ideale zu entdecken?
Faktum ist aber doch,
dass am Bau des Tempels zahllose koreanische und chinesische Baumeister,
Bildschnitzer und Maler beteiligt waren und das Bildprogramm des
Mahayanabuddhismus, der vom 6. Bis ins 9.Jhdt. in China, bis ins 12.Jhdt. in
Indien, einflußreich war, nach Nara transportierten, wo es Wuzeln schlug und
sich, trotz der Angriffe der japanischen Nazis, eigentlich bis heute hielt.
Wie schaut es nun mit
dem angeblich griechischen Einfluss auf diesen Mahyanabudhismus aus ?
Nach der Eroberung
Baktriens durch Alexander den Großen 327v.Chr. hielten sich, auch nach dem Tod
Alexanders, griechische Könige in der Region (Seleukos, Eucratides, Dototis, Demetrius),
es wurden auch Griechen zwangsangesiedelt und Künstler, hauptsächlich aus dem
Gebiet des heutigen Syrien, waren dort tätig. Münzen waren auf einer Seite
griechisch, auf der anderen indisch beschriftet.
Es entstand eine
griechisch-indische Mischkultur, mit einem bunten Pantheon, in welchem neben
Apollo, Herakles und Helios auch Shiva und bald auch Buddha residierten.
Der Mauryaherrscher
Ashoka, diese seltsame Figur, die sich, nach einer angeblich brutalen,
kriegerischen Vergangenheit engagiert dem Buddhismus zuwandte und für dessen
Verbreitung sorgte, beeinflusste sicher auch massiv Baktrien, hatte er doch
griechische Gesandte an seinem Hof.
Nachdem in diesem
Land im Hindukusch, geografisch dem heutigen Pakistan und Afghanistan
entsprechend, die griechischen Fürsten von den nomadischen Eroberern der
Kushans, in der älteren Literatur als weiße Hunnen oder Sykthen! Bezeichnet
abgelöst wurden, blieb die Region weiterhin ein Schmelztiegel griechischer,
indischer, teilweise auch sassanidischer Kultur.
Das sogenannte dritte
buddhistische Konzil im Nordwesten Indiens, in Kaschmir (rechnet man ein
mythisches, ganz frühes Konzil dazu, dann ist es das Vierte) , nach unserer
Zeitrechnung bald nach Christi Geburt, formulierte erstmals das ideologische
Programm des Mahayana-Buddhismus, eine wichtige Voraussetzung für die spätere
Missionierung Chinas und Japans mit ihren nordasiatisch „schamanischen“
Traditionen von Taoismus und Shintoismus.
Baktrien, das
merkwürdige Gandhara-Königreich im Hindukusch, hielt sich bis zum achten Jhdt. bevor
es im Sand der Wüste Takla Makan versank, von mongolischen Eroberern
ausgelöscht wurde. (Die prächtigen,stehenden Buddhasatuen von Bamyan wurden
erst von den Taliban in die Luft gesprengt.)
Über den nördlichen
Zweig der damals sehr belebten Seidenstraße brachten chinesischePilger und
Gelehrte wie Fa Hsien, Sung Yün oder Hsüang Tsang den Buddhismus ab etwa 400
n.Chr. nach China, von wo er teilweise über Korea, das ja 668 passager von den
Tang erobert wurde, nach Japan. Es nimmt nicht Wunder, dass gerade der
legendäre China-Missionar Daruma (jap.) sich noch heute derart volkstümlicher
Beliebtheit erfreut.
Das ganze
indo-gräco-sino-beeinflußte Ensemble von Himmelswächtern, Torwächtern,
Gottheiten, das die Reise der Missionare mitgemacht hat, ist noch heute in
Japan in jedem buddhistischen Tempel zu besichtigen. Die Identitäten der Götter
sind wohl in erster Linie hinduistisch und buddhistisch, ihre Kleidung, ihre
Haltung, Haartracht und die Gebäude in denen sie einquartiert sind, sind aber
zumindest teilweise, auf dem Weg über Baktrien, diesen Schmelztiegel der
Kulturen, auch griechisch beeinflusst.
Kunstgeschichtlich scheint
gesichert, dass gerade dieses Baktrien äußerst wichtig für die Entwicklung
buddhistischer Ikonografie war.
Nach dem Fundort
Gandhara im Tal von Kabul benannt entstand hier beispielsweise erstmals ein
anthropomorphes Abbild Shakyamunis, der zuvor nur als Baum, als Stupa,
Gesetzesrad etc. symbolisch dargestellt wurde. Götter in Menschengestalt waren
anscheinend wirklich eine Spezialität der alten Griechen.
Diese ersten
Buddhastatuen waren praktisch, vom Faltenwurf der Gewänder, Haarknoten, Haltung
und Lächeln identisch mit den Apollostatuen und Heliosstatuen griechischen
Ursprungs. Die stehende Position wurde erst später, natürlich unter indischem
Einfluss, in den Yogasitz übergeführt.
Mit dem oft erwähnten
„archaischen“ Lächeln ist es so eine Sache. Ist doch diese Kunst zumindest fünf
Jahrhunderte v.Chr. zu datieren und kann schwerlich Baktrien beeinflusst haben.
Aber bereits in hellenistischer Zeit und im römischen Reich unter Augustus und
Hadrian gab es in der darstellenden Kunst Greek-Revival-Bewegungen,
Neo-Attische Moden, die versuchten, diese altertümlichen Stilmerkmale
wiederzubeleben.
Beim wunderbaren Lächeln
der Nara-Buddhas, dem milden Ausdruck der traumverändernden (Yumechigai)
Kannon, der überschlanken Kudara mit der Wasserflasche in der Hand oder dem
eleganten Buddha, der jetzt im Frauentempel Chugu Ji im Osten des Horyu Ji thront,
dürfte es aber doch wohl eher um einen Parallelismus als um einen Einfluss
gehen.
Spannend bleibt die
Frage der auffallenden Entasis (eingedeutscht Entase), der Anspannung der
Säulen, wie beim Bicepsmuskel oder bei der Wadenmuskulatur. Dieses so
offensichtlich anthropomorphe Architekturelement scheint so typisch griechisch,
macht es doch den Menschenkörper, der ein Gewicht trägt, zum Vorbild der
Architektur. Anthropos metron panton.
Im Lichte dieser
Überlegungen kehre ich nochmals zurück in den Horyu Ji, zu den Terakottadarstellungen
vom Leben Shakyamunis im Untergeschoss der Pagode, besonders beeindruckt von
den klagenden Mönchen an der Leiche des Erleuchteten. Noch einmal betrete ich
in Gedanken die große Halle des Kondo, deren Dämmerlicht uns nach dem grellen
Mittagslicht des weiten, aber sehr homogen wirkenden Hofes- voller Schulklassen
in Uniformen, wohl tut. Unheimlich umstehen die vier riesigen Himmelswächter,
auf bizarren besiegten Dämonen stehend, die zentrale Shakyamunigruppe.
An den Wänden die
einzigartigen Fresken des buddhistischen Paradieses die mich an Ajanta, aber
auch an Pompej erinnern.
Dann, nach unserem
Abstecher (sic!) zum Glockenturm hinauf durchs Museum und doch noch, schon
müde, in die Halle von Shotokus Seele, wo mir ein geduldiger, äußerst
liebenswürdiger Mönch meinem Spitznamen Inari schwungvoll in mein Pilgerbuch
malt während eine Schlange anderer Pilger wartet, ohne zu Murren.
Bei schwülem Weter
schlendern wir dann durch eine Hinterstrasse zu Udon, Soba &Co, fahren im
Taxi zum Kofun Grab und mit der Bahn wieder nach Nara zu kalligrafischen
Ryokan-Wirtin. Ach, diese reizende Wirtin ! In einem anderen Leben hat sie mich
vielleicht im Gebrauch eines anderen Pinsels unterwiesen ! Deshalb spüre ich
heute wohl das Karma in meinem linken Knie etwas schmerzlicher.
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