Schon bei der Anreise , irgendwo, fast nirgendwo, in der Vorstadt Osakas bleibt der Zug infolge einer Notbremsung plötzlich stehen. Der Himmel ist grau, ich sitze beengt neben einem fetten Japaner, Lena hat die Schuhe ausgezogen, liegt auf dem Sitz und saugt an Junkos Brust. Seitlich von mir sitzen Burgi und Florian, durchs Fenster erblicke ich einen zehnstöckigen Wohnblock.
Vermutlich hat der
Zug einen Menschen überfahren, vielleicht hat dieser sich auch in suicidaler Absicht
vor den Zug geworfen, über den Lautsprecher wird die Möglichkeit über den
letzten Waggon auszusteigen annonciert.
Über eine Meerenge
bringt uns ein Fährschiff dann zum großen, bei Flut im Wasser stehenden Tori
des Itsukushimaschreins.
Miyajima ist eine
Insel der Götter, Menschen dürfen dort weder Sterben noch Kinder gebären.
Ich schaue mir die
japanischen Touristenscharen auf der Fähre an, die ja, so wie unsere
Reisegruppe, schon größtenteils ältere Baujahre sind, abgesehen von den vielen
Schulklassen. Bitte auf der Insel nicht sterben ! denke ich. Hoffentlich halten
sich alle brav daran.
Seltsam auch, dass in
Sichtweite von dieser Insel mit göttlichem Sterbeverbot der Tod mit der
Atombombe auf Hiroshima einen seiner grässlichsten Exzesse in der Geschichte
feierte. Es muss entsetzlich gewesen sein wie sich die Haut von den verdursteten,
verbrannten Menschen schälte, wie sich sogar die schmelzenden Buddhastatuen aus Metall in Glut
und Strahlung krümmten.
Vom Meer aus sehen
wir den Gipfel des Misen-Berges. Oben wartet das gigantische, von den Göttern
gebaute Steinheiligtum auf uns. Es ist eine Art von megalithischem Stonehenge, oder ein riesiger
Dolmen mit Menhiren, aber nicht von Menschen gebaut.
Beispielsweise bin
ich im abendlichen Dunkel in Ise nackt zu den durch ein mächtiges Shimenawaseil
verknüpften verheirateten Felsen Izanami und Izanagi, den Ureltern aller
Japaner, geschwommen. Oder ich habe magisch mit der linken Hand Steinchen ins
Wasserbecken am Udo-Schrein der lokalen Krokodilsgöttin Toyotamabime geworfen.
Die arme Göttin, die unter Zurücklassung ihres Säuglings und ihrer an die Wand
der Grotte geklebten, versteinerten Brüste in die Meerestiefe abtauchen musste,
weil ihr Gatte sie in Krokodilsgestalt erblickt hatte, die sie anlässlich der
Geburt annehmen musste.
Oder ich bin mit der noch kleinen Lena am Rücken zwischen
tausenden von Steinmännchen vor der Höhle der gekränkten Sonnengöttin Amaterasu
unter dem Amano Iwato Schrein durch die waldige Takachiho-Schlucht geklettert.
Wohin man schaut heilige Höhlen, heilige Felsen, heilige Bäume und Quellen
überall die lokalen Kami.
Der Mizen-Berg ist
seit alters her voll mit derlei Spuk. Auf unserer Wanderung von der
Seilbahnstation über seinen Bergrücken begegnen wir auf Schritt und Tritt
kleinen und großen versteckten Statuen und Schreinen. Etwas oberhalb des ewigen
Feuers im Reikado-Komplex, unter alten Bäumen, findet auch Florian seinen
Seelentempel. Er nennt sich Dainichi Do, sieht ein wenig wie eine Schweizer
Almhütte oder wie ein Försterhaus aus und ist in Schutztempel, in dem sich im
Jänner die Mönche Myashimas versammeln.
Zwischen den
beeindruckenden Felstoren und Felstürmen begrüßen uns nicht nur die halbzahmen
Hirsche sondern auch heilige Schlangen und Eidechsen.
Wieder spüre ich die
mächtige Wirkung der Tausend-Tatami-Halle Senjokaku , durch die Lena
bloßfüßig kreuz und quer herumläuft,
auch über die langen überdachten Holzgänge, die außen rundherum führen. Wieder
begeistern mich die steile Mondbrücke, das weiße Holzpferd in seinem Zauberstall,
die alte No-Bühne und die große Pagode ebenso wie die kleine Pagode oben am
Hügel mit der schönen Aussicht auf den ganzen Itsukushimakomplex samt den
Muschelsammlern die neben dem heiligen Tori im trockengefallenen Schlick
herumwühlen.
In der Abenddämmerung
klettere ich samt Junko und Lena noch ins schon geschlossene Gelände des Daisho
In hinein, besonders dramatische Tempelwächter am großen Tor, vielleicht auch
wegen des schlechten Gewissens. Danach essen wir gut italienisch in einem von
unserer Vermieterin empfohlenen italienischen Lokal in dem Lena fröhlich mit
der Tochter der Wirtsleute spielt und von einer freundlichen Dame mit einem
Täschchen für Onigiri-Reisbällchen beschenkt wird.
Es ist aber doch eine
Art von Aufatmen wie wir die heiligen Stätten verlassen, das bedrückende
Atombombenmuseum in Hiroshima absolviert haben und im gemütlichen, pittoresken
Onomichi einkehren.
Das Hotel namens
Berghütte ist zwar eine ziemlich große Hütte, aber der Blick auf die
Spielzeugwelt unten, mit Meeresarm, Brücke, Eisenbahnzug, Kränen und Tempeln
ist wie aus dem Bilderbuch. Auf unserem launigen Abendspaziergang bleiben wir
in dem stillen Städtchen die einzigen Touristen.
Auch auf der
rekonstruierten Krähenburg in Okayama und im großen davorliegenden Landschaftspark
geht es ruhig zu. Gemütlich trinken wir im kleinen Teehaus am Parkteich
Machatee und essen die lokale Spezialität Kibitango während ein flottes junges
Paar sich im Kimono mit der Krähenburg im Hintergrund ablichten lässt.
Anscheinend liebt man
in Okayama das Kostümieren. Auch vor der Burg stolzierte ein junger Mann im
gemieteten Samurai-Outfit umher und in der Burg ließen sich junge Mädchen im
Prinzessinnen Kimono fotografieren, natürlich auch unsere kleine, mit der
Verkleidung ein wenig überforderte Lenaprinzessin.
Dann geht es zurück
nach Tokyo, zu Yakitori-Spießchen unter der donnernden Metro in der
Ameyokopassage. Dort geht es lustig zu, alle zeigen Lena Zauberkunststückchen,
das Bier fließt reichlich und es sind nur ein paar Schritte zurück ins Kinuyahotel
wo nachts vor dem Fenster die Wasservögel schreien und die Sandler wieder
einmal eine ungemütliche Nacht unter ihren Plastikplanen verbringen.
Ich aber schiebe die
Papierwand vor dem Fenster zu, rolle mich in das Futon ein und höre, wie Lena
und Junko, neben mir kreuz und quer liegend, zufrieden schnarchen.
Die Tatami duften nach Stroh und die letzten Tage in Tokyo, mit Familienaktivitäten und Marsch vom Takaoberg zum Kobotokeberg gehen auch friedlich über die Bühne.