Fürsorglich hatte
Junko für Mittwoch, den 23. Mai Karten in einem großen Theaterzelt am Ufer des
Sumidaflusses reserviert. Von Ueno fahren wir erwartungsvoll mit der
Asakusa-Linie dorthin, kaufen uns bei den Läden vor dem Zelt Bento-Boxen und
werden auf unsere Plätze, direkt am „Blumensteg“ am Hanamachi geführt, einem
Laufsteg, über den die dramatisch geschminkten Akteure bei Höhepunkten der
Handlung durchs Publikum poltern.
Das eher bürgerliche,
vom Alter her schon etwas reifere Publikum vor uns beginnt schon vor dem Beginn
des ersten Aktes mit dem Verzehr der Bento-Boxen, was mich daran erinnert, wie
wir als Volksschüler schon morgens im Autobus genüsslich die Jausenpakete
auspackten.
Das Stück handelt von
einer Doppelgängergeschichte, in die zwei Paare, Prinz und Prinzessin bzw.
Gärtner und Hofdame verstrickt sind. Abgründig dabei ist, dass der Gärtner
bereits tot ist, für den Prinzen geopfert. (Diese häufige Story, dass sich ein
Namenloser für einen Aristokraten opfert, beispielsweise auch im berühmten
No-Spiel vom Kirschblütenfest aber auch im Bunraku, das wir einmal auf Shikoku
gesehen haben)
Ein wenig
Klassenkampf flackert auch durch das Stück, das wir sehen: die
frühbürgerlich-proletarische Feuerwache inszeniert Händel mit der Gilde der
Sumoringer, die eher unter Patronanz der Samurai stehen.
Obwohl man wirklich
nicht sagen kann, dass die Japaner die Revolution erfunden hätten, wird doch im
Kabuki oft der sozial absteigende Stand der Samurai lächerlich gemacht.
Im Gegensatz zum
feinen, aristokratischer Zurückhaltung verpflichteten, leise gähnend
dahinplätschernden Notheater (Noh-Theater) geht es im Kabuki turbulent zu.
(Immerhin haben wir in Nara aber auf einer No-Bühne vor dem großen, gemalten
Pinienbaum gefrühstückt und die angeblich älteste No-Bühne Japans in Miyashima
besucht, deren überdachter Laufsteg (Hashigakari) durchs Meereswasser führt)
Seit den Zeiten der
legendären Tänzerin Okuni behielt das Kabuki seinen volkstümlichen Charakter,
auch nachdem von der Behörde zunächst die Huren und dann die Strichbuben mit
ihrer Stirnlocke als Schauspieler verbannt
wurden.
Deshalb spielen,
natürlich auch bei unserer Vorstellung, Männer die Frauenrollen, wodurch, ein
wenig wie bei Transvestiten, das typisch Weibliche etwas überzeichnet wirkt.
Beeindruckend ist
auch, nach der Nachtszene, der tänzerische Auftritt zweier Fischer, die sich
mit Hilfe von Gesichtsmasken, auf die die Kanji von Gut und Böse aufgemalt
sind, in diese, miteinander kämpfenden Prinzipien verwandeln.
Nach der Vorstellung
pilgern wir zu Fuß zum großen volkstümlichen Tempel Senso Ji, zu Burgis
Bedauern führt der Weg dorthin nicht malerisch am Flussufer entlang.
Hinter dieser
Tempelanlage mit den zahllosen Devotionalien- und Andenkenläden rundherum, ragt
der erst vor wenigen Tagen eröffnete 650m hohe Aussichtsturm Sky-Tree in den
dunstigen Himmel. Nach einer kleinen Stärkung fährt Junko zur Aufführung von Adolf Hitlers Lieblingsoperette „Die
lustige Witwe“ in die Bunka-Kaikan nach Ueno und wir pilgern ein wenig mühsam,
teilweise von einer netten Dame gelotst, in die legendäre Kappabashi. Dies ist
eine, nach den „Gurkenmonstern“ Kappa benannte Straße mit endlosen
Geschäftsarkaden in denen Küchen- und Restaurantzubehör verkauft wird,
eigentlich eine ideale Adresse für kleine, preiswerte Reiseandenken.
Schon ein wenig müde
tigern wir noch durch die weitläufige Ueno-U-Bahn-Station, aktivieren dort die
Japanrailtickets, wonach Florian und Burgi, wohl erleichtert, im Hafen des
Kinuyahotels einlaufen während ich mit meiner Lenachan durch den in Dämmerung
versinkenden Park zum Kinderspielplatz schleiche, wo Lena zu meiner
Erleichterung ein seit Tagen fälliges „Unchi“ macht. Dem Himmel sei dank, dass
ein öffentliches Klo in der Nähe ist, nicht wie vor einigen ‚Tagen, als Lena
auch dringend aufs Klo musste wie wir gerade vor dem Nobelrestaurant mit Blick
auf den Teich vorbeizogen. Ein uniformierter Lakai mit weißen Handschuhen
bedeutete mir, ich müsse mich mit meiner Kleinen in einer langen Schlange von
reiferen, zierlichen Damen mit Blumentopfhüten und verwelkten Ehegatten
anstellen, aber ich stürmte an ihm und an einer Gruppe sich rhythmisch, wie ETA
Hoffmanns Olympia, verbeugenden Kellnerinnen vorbei auf die Damentoilette wo
Lena zwinkernd und stöhnend ihr Geschäft erledigte.
Die obligate
Händewaschung erledigten wir dann bereits am Wasserbecken (Chozuya)des neben
dem Hotel liegenden Kiyomizu Kannon Do , wo wir der barmherzigen Göttin
dankten.
Eigentlich fühlt sich
Lena in diesem Park mit anderen Kindern, mit denen sie schnell Kontakt
aufnimmt, als würden sie sich schon lange kennen, mit den Straßenmusikern,
Tanzgruppen, Jongleuren und mit dem Ringelspiel und den Tretbooten in Gestalt
rosaroter Riesenschwäne unterdessen schon recht wohl.
Auch ich liebe das
Museum mit dem Teehaus im Park dahinter, die Cafes und genieße abends mit Burgi
und Florian ein Glas italienischen Weines direkt neben dem Denkmal für die in
der Schlacht von Ueno gefallenen letzten zweitausend Tokugawaanhänger.
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