(Nur die
zwölfstündige Schattentheatervorstellung in Yogjagakarta und die achtstündige
Mahabharata-Performance in Benares waren noch länger)
Durch die lange Dauer
werden die Puppen und ihre Welt immer wirklicher.
Ein steinzeitlich
wirkender Barde rezitiert, teilweise mit Tierstimme, Bauchreden, Stöhnen und
Grunzen, die Handlung.
Sein wirklich wüstes
Erdbebenlachen weckt archaische Gefühle.
Das leere Gesicht,
sozusagen Minusgesicht der Puppenspieler hat allen mimischen Ausdruck, alle
Psychomotorik den Puppen abgetreten, diese projektiv damit identifiziert. Der
Spieler bleibt quasi als leere Hülse zurück.
Innere Vorgänge des
Stückes, in den Puppen externalisiert, werden dabei in reiner, prototypischer ,
schematischer Weise sichtbar.
Die Puppe tanzt,
weint, mordet und ihre Emotionen wirken reiner und tiefer als die Emotionen von
uns Fleischmenschen, weil sie ungetrübt sind, auf das wesentliche reduziert.
Zum Klang des Shamisenorchesters
werden die Figuren von Dämonen der Leidenschaft verhaftet und abgeführt.
Zugleich werden ihre
Stimmen von den agierenden Gestalten gelöst.
Der Barde, Sprecher,
oder besser sogar Sänger genannt, bringt den Text mit heftig outrierten
Affekten zum Klingen. Wie gesagt sind Heulen, Jaulen oder Stöhnen noch schwache
Bezeichnungen für diese, überaus körperlichen Urlaute, die an traditionelle
indische Gesangstechnik erinnern.
Fünf Shamisen,
gelegentlich klapperndes Holz oder eine Koto, ebenso wie Flöte und Gong
begleiten den Gesang.
Drei Männer in
schwarzer Kleidung bewegen die Puppen, zwei davon, die erst seit wenigen Jahren
Bunraku praktizieren tragen schwarze Kapuzen. Diese beiden bedienen Beine und
linken Arm. Der Meister, mit unverhülltem Gesicht, tadellosem Haarschnitt und
starrer Miene bewegt Kopf, Mimik und rechte Hand.
Mitunter zweifelt der
Betrachter, ob die Puppe den Spieler oder dieser die Puppe bewegt, so wie wir
ja auch oft nicht wissen, ob wir Subjekt oder Objekt der Abläufe sind.
Je gespenstischer die
Puppen aufleben, desto mehr verschwinden die bereits schwitzenden erschöpften
Spieler im Hintergrund.
Das Stück handelt von
einer unglücklichen Liebesgeschichte.
Eigentlich wollen
wir, ermüdet von der langen Dauer und der Aufregung wegen Junkos Erkrankung,
schon früher gehen. Da taucht Junko aus einem Hinterzimmer, wo sie sich etwas
ausrasten durfte, doch wieder auf und will das Ende des Stückes noch sehen, den
berühmten Schmetterlingstanz.
Die Seelen der toten
Liebenden verwandeln sich in Schmetterlinge die einen bezaubernden Liebestanz
vorführen.
Wunderbare
Verwandlung der Liebenden ! Wie in Ovids Metamorphosen!
In nova fert animus
mutatas dicere formas corpora.
Bei großen Szenen
treten zugleich bis zu sieben, acht Puppen auf und während die Protagonisten,
Fürsten und Samurai, ihre dramatischen Konflikte austragen, wäscht sich – vorne
links – der kleine Ruderknecht in imaginärem Wasser sein Kopftuch, mit dem er
zuvor seinen imaginären Schweiß abgewischt, seelenruhig, von den Aufregungen
der großen Welt kaum berührt.
Weil die Bewegungen
der großen Puppen mit den Händen gesteuert werden, die bekanntlich im Cortex
über eine wesentlich größere Repräsentanz verfügen, können sie sehr fein
nuanciert werden, vergleichbar dem Spielen auf einem Musikinstrument. Auch kann
das idealtypische eines inneren seelischen Ablaufs vielleicht schärfer
visualisiert werden.
Zudem sind die Puppen
frei von der oft doch eitlen Selbstbespiegelung realer Schauspieler, was ja schon
Kleist in seinem Aufsatz über das Marionettentheater angesprochen hat. Die
Aktionen wirken dadurch gewissermaßen authentischer.
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