In der Hitze des Juli tigere ich auch heuer wieder durch zahllose japanische Gärten.Dabei begleitet mich nicht nur die Vorstellung des Gegensatzes von rechtem Winkel und organischer Naturform, wie ich sie bei Günter Nitschke lesen konnte, sondern auch der Gegensatz zwischen den eher öden Stadtwüsten und diesen geheimnisvollen grünen Oasen.
Von den noch geomantisch-chinesisch inspirierten Palastgärten der Heian - Zeit bis hin zu den Kare san-sui Gärten, über die nach den Regeln des O - Karikomi gestutzten Bäume und Sträucher, die Idee der geborgten Landschaft, bis hin zu den Wandelgärten und Teichgärten der Edozeit, um nur einige wenige zu nennen, führt die faszinierende Entwicklung der japanischen Suche nach dem Paradies durch das Anlegen von Gärten. In alten Zeiten wurde die Insel der Seligen im Osten vermutet, später wandte sich die Sehnsucht dem reinen Land Jodo dem Westen zu, wohl auf Grund von Gerüchten über persische Gärten in Indien.
Der Herbstschaupavillon und der Schirmpavillon im Kodai Ji in Kyoto, von Kobori Enshou nach dem Ideal des Wabi, der neuen Schlichtheit in der - sonst eher prunkliebenden -Momoyamaperiode errichtet, bereiten uns schon auf den kaiserlichen Park am Ufer des Katsura Flusses vor.
Dort träumen das Teehaus Shokintei, was so viel heißt wie Kotoklang und Flüstern des Windes in den Pinien, oder auch der Mondschaupavillon von den Tagen, in denen die Aristokraten und die Äbte der Klöster noch die Wortführer im alten Japan waren. Der verwöhnte Prinz konnte am Shoiken mit einer Schönen ein Boot besteigen um sich mit ihr zu Flötenklängen über den Teich rudern zu lassen.
Heutzutage schwärmen Touristinnen mit ihren Fotoapparaten durch diese Gärten. Vor dem Steingarten des Ryoan Ji bleiben sie dann einige Minuten sitzen, um mit mehr oder weniger tiefsinnigem Gesichtsausdruck über den Tiefsinn der Anordnung der Steine zu grübeln. Die buddhistisch inspirierten vermuten die Auflösung aller Gegensätze durch eine Art von Hirnzerbröselung, eher psychoanalytisch angehauchte Besucher deuten die Gartenarchitektur als Versuch die rätselhaften Urszenen infantiler Sexualität neu zu beleben, die meisten dürften allerdings bescheiden zugeben, dass sie gar nichts verstehen.
Eher unwahrscheinlich, dass sich irgendein alter Klassenkämpfer hierher verirrt hat. Der könnte dann fantasieren, dass die ganzen Anlagen nur der raffinierten Verschleierung der Ausbeutung dienen.
Auch diese letzteren Fantasien sind nicht ganz von der Hand zu weisen. Wenn man sich ausmalt wie arme Schlucker von Dienern schwitzend in Holzbutten Wasser auf die halbe Höhe des Shiun - Berges oberhalb des Ritsurin-Parkes schleppen mussten, wenn der Daimyo geruhte unten im Kin Higurashi Tei zu sitzen und auf den künstlichen Wasserfall namens Okedoi no taki zu blicken, wird auch dieser Aspekt plastisch: Auf dem Rücken der Sklaven wird mühsam das raffinierte Vergnügen der Herrschaften geschleppt.
Mit derartigen Überlegungen im Hinterkopf spaziere ich im Ritsurin - Park über die berühmte bogenförmige Brücke des aufsteigenden Mondes (Engetsukyo), lasse mich im Boot an einer künstlichen Insel im Fu - Sho - Teich mit kugelförmig gestutzten Azaleen vorbei rudern und genehmige mir im Schatten des Kikugetsu Teehauses einen Machatee mit ein paar Manjus dazu.