千木 Chigi
– als das Wünschen noch geholfen hat
Kumanoschrein beim Nachi-Wasserfall, Japan
Haus des Häuptlings bei den Akka (Nagaland), Indien
Dorf im Nagaland, Indien
Toraja-Hochland, Sulawesi
Weiß der Teufel, warum
der Anblick der scherenförmig über den Giebel hinausragenden Giebelbretter an
Vorderseite und Rückseite der Firste vieler Shintoschreine meine Fantasie so
reizt.
Auf japanisch heißen
diese Bretter(Windbretter, Bageboards) C
h i g i , wörtlich heißt das so etwas ähnliches wie „Tausenderbaum“ und ihre
Herkunft und Bedeutung scheinen nicht ganz klar zu sein.
Mich jedenfalls
führen sie zurück in die märchenhafte Zeit meiner Kindheit, in eine Zeit, in
der das Wünschen noch geholfen hat.
Damals, so erinnere
ich mich, entdeckte ich im Giebeldreieck vieler Häuser am Land in der
Steiermark Hirschgeweihe. Als Kind schien es mir fast selbstverständlich, dass
an der herausragenden Spitze des Giebels, wo First und Dachsparren
zusammenlaufen, die magische Trophäe eines Hirschgeweihs angebracht war.
Und noch heute, wenn
ich selbstvergessen im Pilgerstrom von Touristen, Schulklassen oder Müttern mit
Kinderwägen durch das rotlackierte Torii einen dieser heiligen Bezirke der
Shintoreligion betrete, regt sich in meinem oft enttäuschten Herzen dieselbe kindliche Stimmung, leise begleitet von der
Musik des Tangos „Volver“. Diese gekreuzten Bretter, die wie Hörner vom Dach
herausragen scheinen mir gleichermaßen geheimnisvoll und doch vertraut und
bekannt.
Natürlich tauchen
auch Bilder der Torajahäuser im Hochland von Sulawesi auf, mit ihren zahllosen riesigen Büffelhörnern im
Giebel, zu denen ich auf schlammigen Wegen knatternd mit dem Motorrad gefahren
bin, auch die altjapanischen Hausmodelle aus den Kofungräbern aus dem
Museum , das Hirschgeweih auf dem
kleinen Tempel in Alt-Manali im Kulutal oder die gekreuzten Planken mit
Pferdeköpfen auf alten nordeuropäischen Holzbauten.
Es ist klar, dass die
Chigi in Ise, am Izumo Taisha, am Sumiyoshi- Schrein, am Kibitsu- Schrein oder
wie sie alle heißen, uralte architektonische Vorläufer haben.
Das gilt wohl für
alle Elemente dieser schlichten, alle zwanzig Jahre neu nach uraltem Vorbild zu
erbauenden Schreine. Ich muss mich einbremsen, um hier nun nicht in einen
langatmigen Lobgesang auf diese verzauberten heiligen Bezirke zu verfallen.
Zwischen alten Zedern und magischen Felsen, an rauschenden Wasserfällen, wo die
Kami wohnen, mit Shimenawaseilen festgehalten, von jungen hübschen Mädchen, den
Mikos, und von alten Priestern betreut
...
Ich möchte mich hier
wirklich nur auf das Architekturelement Chigi konzentrieren, oben vertikal
abgesägt, wenn männliche Kami im Honden wohnen, horizontal abgesägt, wenn
weibliche drinnen hausen. Oft mit Windlöchern und vergoldeten Platten geziert,
ragen sie rätselhaft vom Giebel in den Himmel.
Ein wenig weiter
bringt wohl die etymologische Spur der Namen für diese Bauteile. Der
Firstbalken und der vertikale schwere Baum, der auf den vermutlich ältesten
Shintoschreinen den Giebel stützte, ist mit dem chinesischen und auch
japanischen Ausdruck Tai-Ji (Tai-Chi, Taikyoku/ 太極) verknüpft, uns vom heutzutage modischen
chinesischen Schattenboxen, dem Tai-Chi bekannt. Das Schriftzeichen dafür hat
als ikonografische Wurzel das bekannte Zeichen für sehr groß, mit
ausgebreiteten Armen und ein Zeichen das irgendwie, unklar und deshalb
vielseitig interpretierbar, einen Baumstamm mit einem Menschen und dessen Mund
und Hand verknüpft. Jedenfalls heißt das Zeichen Bergesgipfel und Firstbalken. (Mitunter
wird es im Westen, wegen der Homophonie, mit dem Begriff Chi, jap.Ki für
Lebensenergie verwechselt, der im Qui-Gong aufscheint und ein völlig anderes
Schriftzeichen hat 気) Von der daoistischen Philosophie wurde der Begriff Ji (Chi, 太極)vor
allem im I-Ging, mit reicher Symbolbedeutung befrachtet. Im Dachfirst schneiden
sich die Schattenseite des Dachs mit der Sonnenseite, wie bei einem Berg
Nordhang und Südhang, weibliches und männliches Prinzip heben sich gegenseitig
auf. Das Tai-Ji ist quasi die ultimative Spitze in der alles in eines
zusammenfällt.
Es scheint
einleuchtend, dass dieses daoistische Symboldenken nicht nur in die
konfuzianischen Doktrinen eingedrungen ist, sondern auch den japanischen
Shintoismus, der bekanntlich auch in alten lokalen schamanischen Traditionen
verwurzelt ist, beeinflusst hat.
Wie freue ich mich
schon heute darauf, wieder einmal durch ein rotes Torii, vielleicht an einer
alten No-Bühne vorbei, ein Shinto-Heiligtum zu betreten, wo mir aus dem Dunkel
des Schreins der magische Spiegel der Sonnengöttin Amiterasu entgegenleuchtet,
irgendwo in der Nähe versteckt das heilige Schwert.
Mit kindlichem
Schauer blicke ich dann hinauf zum Chigi, mit ähnlichen Gefühlen, wie ich als
Kind zum Hirschgeweih in irgend einem verwitterten Jagdhaus meiner Heimat
hinaufgeblickt habe. In jener Zeit, in der das Wünschen noch geholfen hat und
in der mich schon mein kleiner schlauer Fuchs Inari beschützt hat, der auch die
heilige shintoistische Stätte beschützt.