Mittwoch, 25. November 2015

Tohoku / August 2015

Rikuchuküste

 




Nebel und Sonne begleiten uns an der Rikuchu-Küste der Provinz Iwate. Über steile Felsklippen, auf denen orangefarbene Strandlilien (Hamaju) und Pinien wachsen klettern wir in einsame Buchten.  Oder fahren mit dem Boot unter den Wänden, durch Felstore und in Grotten. Überall noch die Spuren der Tsunami von 2011. Bis zum Jodogahama, dem legendären Paradiesstrand.



Tono, im Tal der Märchen

 

In einem vergammelten Ryokan, das nur so von Wabi und Sabi trieft, ziehe ich meinen Yukata an, hocke mich auf die Tatami, während die seltsamen Gespenster dieser verwunschenen Gegend mir noch durch meinen Kopf geistern. 



Es wimmelt nur so von listigen Wasserdämonen, sogenannten Kappas, die ja durch ganz Japan geistern bis in den Süden hinunter. Mehrere Wochen erzähle ich Lena jeden Abend zum Einschlafen von ihren skurrilen Streichen.
Auch Oshira-sama gibt es hier überall, das Liebespaar eines schönen Mädchens und eines Hengstes. Natürlich verkörpert das Pferd den abgespaltenen Teil der Vater-Imago. Ähnlich wie im Grimmschen Märchen von Fallada wird dieser inzestuöse, böse, tierische  Vater in Pferdegestalt vom wütenden übriggebliebenen Vater auf einem Kuwabaum erhängt aber dann doch das ungleiche Paar in den Märchenhimmel entrückt....




Weiters finden wir in den dunklen, verregneten Wäldern Tempel für Heiratslustige (Unedori sama), Tempel für unfruchtbare Frauen voller Phalli aus Holz in allen Größen (Konsei sama), Tempel für stillende Mütter mit Beuteln voll künstlicher Brustwarzen als Votivgaben, und auch die berühmten 500 im Wald verstreuten Buddhareliefs.




Alte Bauernhäuser -Magariya


Ein Trakt für das Vieh, rechtwinkelig damit verbunden der andere für die Menschen. Dazwischen der kleine fensterlose Raum in dem der Zasski Warashi sein Unwesen treibt, ein Hauskobold, wohl entfernt mit dem norwegischen Tomte Tummetot verwandt, offene Feuerstellen, Schiebewände, weit vorspringende hohe Irimoyadächer... Besonders beeindruckend das Magariya der Familie Chiba, einer reichen Holzhändlerfamilie.


Onsen

 

Das allabendliche Brüten in der heißen Brühe irgendeines Onsens wird zur angenehmen Gewohnheit. Überall sprudeln die heißen Quellen in diesem Vulkanland aus der Erde. Ob es nun die milchig weiße Suppe des Kuroiyu ist (paradoxerweise heisst es "Schwarzwasser"), das traditionsreiche Tsuta- Onsen, das geräumige altertümliche Sukayu in den Bergen, das Yagen-Onsen oberhalb der Hotokegauraküste oder ein bescheidenes Becken bei einem im Wald versteckten Minshuku, ist ist meist nicht so wichtig. Aber einige machen schon besonderen Eindruck. Unvergesslich bleibt das fast unwirkliche, leider nicht mehr existierende Bad in den Wurzeln eines riesigen Baumes in Sakurajima, aber auch die schwefelgelbe Suppe des Furo-fushi ("Nicht sterben nicht altern") am japanischen Meer ist beeindruckend.



Unheimlich ist das Goshokake Onsen (" Das restliche Leben opfern"). Der Name beruht darauf, dass sich zuerst die Geliebte eines Viehbauern in den brodelnden, kochend heißen Schwefelvulkan stürzte, danach gleich auch die mit ihr solidarische Ehefrau.




Aus dem geheimnisvollen Talgrund im Hachimantai-Massiv steigen überall stinkende Rauchschwaden auf, kommt man näher, findet man Krater, klein oder bis hundert Meter groß, in denen heißer Schlamm brodelt. Die graublauen, türkisfarbenen oder gelben Suppentöpfe des Teufels treiben blubbernde Blasen.
Da und dort von Eisenoxyd rotbraun verfärbt, wirkt das Gelände wie ein verlassene Baustelle böser Geister.





Besuch bei den Namahage-Teufeln

Auf der Oga- Halbinsel treiben gehörnte Walddämonen, die Namahage, ihr Unwesen. Noch immer schrecken sie zum Jahreswechsel die kleinen Kinder fürchterlich, aber meistens treten sie gezähmt in Museen und touristischen Trommelshows auf. Zu ihrem alten Waldheiligtum, dem Akagami Jinja (Rot - Gott - Schrein) führen tausend Stufen hinauf.




Tief unten die Meeresbuchten mit violetten Lavafelsen und Plastikstrandgut. Die immer höhere Industrialisierung der Fischerei führt dazu, dass die alten Fischerdörfer, halb verlassen und mit viel rostigem Wellblech, hinter den großen Tetrapoden-Wellenbrechern, eher trist wirken. Trotzdem schmecken abends der gefährliche Fugu (Kugelfisch), die Awabi (Seeohren), die riesigen Krabben, Goldbrassen, frischen Austern und anderes Meeresgetier köstlich.





 

Zu den großen Sommerfesten im Norden Honshus - Aomori Nebuta Matsuri, Tanabata Matsuri in Noshiro, die Umzüge in Goshogawara und Mutsu

 

Natürlich haben all diese Umzüge ihr besonderes Flair, aber am eindrucksvollsten ist wohl der in Aomori. Riesige, von innen grellbunt beleuchtete Festwägen, werden durch die Stadt gezogen. Darauf sind meist martialische Szenen aus Geschichte und Mythologie dargestellt. Heldenhafte Samurai im Kampf mit Tigern, Schlangen und Drachen, die Geschichten von Heike und Genji (quasi das japanische Nibelungenlied), Windgott, Donnergott, der rettende Gotteswind (Kamikaze), der die Mongolenflotte vernichtete, Satomi Hakkenden, Fuchsbraut...Aber auch religiöse Motive werden durch die abendlichen Strassen gezogen: Daruma ohne Hände und Füsse, weil sie ihm abfaulten als er neun Jahre vor der smaragdenen Felswand meditierte oder die Legende von Nami Kiri Fudo. 



Bei letzterer geht es darum  dass  Kukais Schiff, vollbeladen mit magischen Mandalas, in einem Taifun unterzugehen drohte. Da erschien der Wellenschneider Hudomyo o, ein Schutzpatron der Fischer und zerhackte mit seinem Schwert die riesigen Wellen.


Hinter den prächtigen Wägen dann die mannshohen Trommeln die einen monotonen Rhythmus schlagen. Ihnen folgen Scharen von Tänzern, die mit schon heiserer Stimme immer die gleichen Parolen brüllen. Wenn die Lautstärke anschwillt hüpfen sie auch heftiger und höher und die Menschenmasse verschmilzt noch stärker.
Auch ich alter Knochen hüpfe, samt Familie, eigekleidet in einem speziellen Kostümverleih, in der enthusiastischen Schar der Tänzer mit und gröhle "Rasse rah,
rasse rah, rasse, rasse, rasse, rah", was immer das heißen mag. Immerhin ein Massenrausch der auf seine Art mitreisst.



 

Am Berg des Schreckens, Osore-San

Hinter finsteren Zedernwäldern liegt, von Berggipfeln umrahmt, der Osoresee, in einem großen Vulkankrater, einer der heiligsten Orte Japans. Einem japanischen Mönch in einem chinesischen Zen(=Chan)kloster erschien im Traum ein Heiliger und schickte ihn in den fernen Norden Japans, in einen unheimlichen Winkel. Dort, wo sich die Hölle öffnet und die Verdammten in heißer Schwefelbrühe kochen, dort wo giftige Dämpfe aus gelben und roten Felsspalten quellen, solle er eine Statue des barmherzigen Trösters Jizoo aufstellen. 


Der japanische Mönch namens Tennin gehorchte, errichtete Statue und auch gleich ein buddhistisches Kloster, wo die Kinder, deren Eltern gestorben sind oder umgekehrt, wo die Ehefrauen, denen der Mann gestorben ist oder umgekehrt, weinen können, Abschied nehmen können und getröstet werden.
Mit Hilfe blinder Medien kann man angeblich auf diesem Berg des Schreckens sogar mit Verstorbenen telefonieren.
Auch mir kommt vor, während ich durch die geisterhafte Kraterhölle irre, dass im Zischen des Dampfes, im Rauschen des Windes und im Krächzen der Krähen meine verstorbenen Verwandten aus dem Nebel des Vergessens auftauchen und erst leise flüsternd, dann immer lauter zu mir sprechen.




Hotokegaura-Küste




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