Freitag, 31. Januar 2014

Sind Riesenstädte menschenfeindlich?


Meine jüngsten Aufenthalte in Tokyo, Yokohama, Nagoya, Osaka und Seoul haben meine Zweifel verstärkt, ob die riesigen Betonwüsten der Großstädte überhaupt eine menschenwürdige Umgebung zum Leben sind.
Wie bei jeder Begegnung mit einer anderen Person, einem Tier oder sogar einem Baum, wird auch die künstliche Umwelt des Stadtraumes von Bewohnern und Besuchern körpersprachlich wahrgenommen. Ob sie wollen oder nicht treten sie in einen Dialog mit den protzigen Riesentürmen, den unterirdischen Höhlensystemen und den lärmenden Stadtautobahnen, der sich auf ihr Befinden auswirkt. Das Modell dieses körpersprachlichen Dialogs ist und bleibt aber stets die Erfahrung mit den Körpern der Eltern, Geschwister, Freunde, Feinde und Geliebten und natürlich auch mit dem eigenen Körper. 






Solcherart werden die phallokratischen Betonklötze des Königs Mammon mit ihren scharfen gläsernen Kanten als väterliche Drohung erlebt. Die Pornografie der Macht des Finanzkapitals die durch erigierte Türme aus Beton symbolisiert wird, schüchtert den winzigen Passanten zu ihren Füßen ein, verwandelt ihn in ein bedeutungsloses Molekül.
Auf der anderen Seite verkörpern die unterirdischen Höhlensysteme der U-Bahnen und Einkaufszentren das verborgene Innenleben von Verdauung und Fortpflanzung im Leib einer ungeheuren, verschlingenden Mutter. Wie durch das Maul eines Drachen, wie durch einen Höllenrachen werden die Menschenmassen verschlungen. In der unterirdischen Tiefe werden sie dann herumgeschoben, der Kaufrausch von glitzerndem, unbrauchbaren Schund, der sich fast sofort nach dem Kauf in Müll verwandelt, ersetzt die Mysterien der Fortpflanzung und Ernährung.





Über diesen unterirdischen Grotten leuchten verführerisch die blendenden Reklamen, locken in die Pachinko-Hallen des Glücksspiels und in die lügenhaften Versprechungen der Designershops. Sozusagen das Décolleté der Kurtisane des Konsums. Aber das Fressen im Konsumrausch führt zu keiner echten Sättigung, monotone Masturbation in den Spielhöllen zu keinem befriedigenden Orgasmus.
Wenn ich in diesen, auf den ersten Blick oft verlockenden, städtischen Environments umherirre, verschlechtern sich insgesamt mein Körpergefühl und mein Lebensgefühl durch die körpersprachlichen Gesten, die von dieser brutalen Betonlandschaft ausgesendet werden. In rücksichtsloser optischer Umweltverschmutzung spricht diese Architektur auf unheimliche und widerwärtige Weise zu mir.




Zusammen mit den Scharen zahlloser, fast hypnotisierter Mitmenschen saugen die Öffnungen der U-Bahn, die Schienennetze und Straßennetze mich an, ergreifen mich mit den Fangarmen eines Riesenkraken, zermalmen mich mit dem Gebiss ihrer Betonzähne und verschlingen mich in die Bäuche unterirdischen Transports und Konsumrausches.
Wie feurige Öfen in denen die Menschenmassen verheizt werden glühen die ganze Nacht die grellen Lichter, beleuchten das Szenario, in dem der dämonische Moloch Stadt mit seiner Peitsche von Hast und Zeitdruck die Menschenherden zu quälender Fronarbeit und hektischem Vergnügen treibt.
Tag und Nacht, Sommer und Winter verschwimmen in dieser artifiziellen Welt in der unersättlich und verschwenderisch Menschen und  Naturprodukte verschluckt, zerkaut und wieder erbrochen werden. Der altbekannte Teufelskreis von Hahn, Schwein und Schlange, von Hochmut, Unersättlicher Gier und Lüge, der das Rad der Illusionen antreibt. Wenn man so will auch der unbarmherzige Mechanismus des Kapitalismus.
Zurück bleiben ausgebrannte, leere Menschenhülsen, mit artifiziellen, unnatürlichen Bedürfnissen. Dazu Berge von Müll, die Exkremente des riesigen Drachens Großstadt.
Es gibt kein natürliches Leben mehr in diesen  giftig vibrierenden Geisterstädten. Morgens hinein in die monotonen Büros, vor die flimmernden Bildschirme, danach wie grinsende Schatten als  standardisierte Konsumenten in die Einkaufpaläste und zum Running-Sushi.
Der Widerschein dieser von unersättlicher Geldgier angetriebenen, ruhelosen Monsterstädte  aber strahlt weit hinaus, entlang der Ufer der Flüsse bis zu den schlafenden Wäldern im Mondschein. Widerwillig verzieht unser Planet dann sein Gesicht, wenn er den Fluch spürt, der von den Riesenstädten, diesen Zentren der Macht des Geldes, ausgeht.






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