Donnerstag, 3. August 2017

Gassho Zukuri


Zuerst in Shirakawa Go, dann in Gokayama, in den beiden Dörfern Suganuma und Ainokura. Jetzt rundet sich mein Bild dieser strohgedeckten Häuser, die wegen der Ähnlichkeit mit zum Gebet gefalteten Händen Gassho Zukuri genannt werden, ab.
Unter dem Fussboden wurde Schießpulver produziert, im Parterre ab und zu Papier und im hohen Obergeschoss Rohseide mit Seidenraupen und Maulbeerblättern. Ohne diese Kleinindustrie wäre ein Überleben in der steilen Waldschlucht, in der im Winter fünf Monate Schnee liegt, wohl schwer möglich gewesen. Heute dürften die restlichen Bergbewohner hauptsächlich vom Tourismus leben.

Jedenfalls ist es unter den hohen, sechzig Grad steilen und einen Meter dicken Strohdächern irgendwie ziemlich geborgen, zumal es meist stark regnet. ich spiele mit meiner Lena "Schifferl versenken" und im Dunkel, beim Einschlafen tauschen wir noch die Tageserinnerungen aus, mit verblüffender Übereinstimmung hinsichtlich der witzigsten Ereignisse.

Das muss mir auch noch passieren - ich verliebe mich in Nara in ein Reh!

Wenn ich schon so viele buddhistische Tempel besuche auf meiner Japanreise, dann gehört auch die passende Lektüre dazu. Deshalb lese ich in irgendwelchen Ryokans abends in den Reden Gotamo Buddhos aus dem Pali - Kanon in der Übersetzung von K.E.Neumann. Irgendwie kapiere ich schon, dass Lust zu Schwangerschaft und Geburt eines Kindes führt, dass zum Leben dann wieder zwangsläufig Leiden und Tod gehören, in endloser Verkettung. Aber soll ich deshalb auf jede Triebbefriedigung verzichten? Wo ich doch eh an keine Wiedergeburt glauben kann?
Wozu soll ich ans andere Ufer, in die Ichlosigkeit - an dieses andere Ufer, das ja auch nur so eine unzulässige Verdoppelung ist, wo doch alles nichts ist oder nichts alles. Ausserdem stehe ich in meinem Alter eh schon an der Tür zum Nirvana der Wunschlosigkeit und Ichlosigkeit. Wenn ich einigermassen im Gleichgewicht bleibe, reicht mir das bei weitem.
Von der Sorge um und Liebe für meine Kinder bringt mich der Erleuchtete auch nicht ab, bei aller Sympathie, die ich aber auch wieder genauso für Harry Belafonte oder Charlie Chaplin hege.
Derlei topics mit meinen imaginären Gesprächspartnern, die mich als Schatten in meiner Einsamkeit immer begleiten, diskutierend, schiebe ich mein Fahrrad den Wakakusayama hinauf, durch eine verwachsene Waldschlucht.
Da verstummt schlagartig, wie auf Befehl eines unsichtbaren Dirigenten, das lautstarke Streichorchester der Zikaden. In dieser Stille kommt plötzlich ein Reh aus dem Gebüsch, bleibt nah bei mir stehen und schaut mir, eine Spur traurig, aber ruhig in die Augen.
Der dunkleBlick, das sanfte Wesen und die anmutige Gestalt des Tieres bezaubern mich derart, dass ich mich tatsächlich in dieses Reh verliebe.
Keinem verrate ich allerdings, wie die Geschichte im Zauberwald, in dem alles möglich ist, dann weitergegangen ist.

Kreuz und quer durch japanische Gärten



In der Hitze des Juli tigere ich auch heuer wieder durch zahllose japanische Gärten.Dabei begleitet mich nicht nur die Vorstellung des Gegensatzes von rechtem Winkel und organischer Naturform, wie ich sie bei Günter Nitschke lesen konnte, sondern auch der Gegensatz zwischen den eher öden Stadtwüsten und diesen geheimnisvollen grünen Oasen.
Von den noch geomantisch-chinesisch inspirierten Palastgärten der Heian - Zeit bis hin zu den Kare san-sui Gärten, über die nach den Regeln des O - Karikomi gestutzten Bäume und Sträucher, die Idee der geborgten Landschaft, bis hin zu den Wandelgärten und Teichgärten der Edozeit, um nur einige wenige zu nennen, führt die faszinierende Entwicklung der japanischen Suche nach dem Paradies durch das Anlegen von Gärten. In alten Zeiten wurde die Insel der Seligen im Osten vermutet, später wandte sich die Sehnsucht dem reinen Land Jodo dem Westen zu, wohl auf Grund von Gerüchten über persische Gärten in Indien.
Der Herbstschaupavillon und der Schirmpavillon im Kodai Ji in Kyoto, von Kobori Enshou nach dem Ideal des Wabi, der neuen Schlichtheit in der -  sonst eher prunkliebenden -Momoyamaperiode errichtet, bereiten uns schon auf den kaiserlichen Park am Ufer des Katsura Flusses vor.
Dort träumen das Teehaus Shokintei, was so viel heißt wie Kotoklang und Flüstern des Windes in den Pinien, oder auch der Mondschaupavillon von den Tagen, in denen die Aristokraten und die Äbte der Klöster noch die Wortführer im alten Japan waren. Der verwöhnte Prinz konnte am Shoiken mit einer Schönen ein Boot besteigen um sich mit ihr zu Flötenklängen über den Teich rudern zu lassen.

Heutzutage schwärmen Touristinnen mit ihren Fotoapparaten durch diese Gärten. Vor dem Steingarten des Ryoan Ji bleiben sie dann einige Minuten sitzen, um mit mehr oder weniger tiefsinnigem Gesichtsausdruck über den Tiefsinn der Anordnung der Steine zu grübeln. Die buddhistisch inspirierten vermuten die Auflösung aller Gegensätze durch eine Art von Hirnzerbröselung, eher psychoanalytisch angehauchte Besucher deuten die Gartenarchitektur als Versuch die rätselhaften Urszenen infantiler Sexualität neu zu beleben, die meisten dürften allerdings bescheiden zugeben, dass sie gar nichts verstehen.

Eher unwahrscheinlich, dass sich irgendein alter Klassenkämpfer hierher verirrt hat. Der könnte dann fantasieren, dass die ganzen  Anlagen nur der raffinierten Verschleierung der Ausbeutung dienen.
Auch diese letzteren Fantasien sind nicht ganz von der Hand zu weisen. Wenn man sich ausmalt wie arme Schlucker von Dienern schwitzend in Holzbutten Wasser auf die halbe Höhe des Shiun - Berges oberhalb des Ritsurin-Parkes schleppen mussten, wenn der Daimyo geruhte unten im Kin Higurashi Tei zu sitzen und auf den künstlichen Wasserfall namens Okedoi no taki zu blicken, wird auch dieser Aspekt plastisch: Auf dem Rücken der Sklaven wird mühsam das raffinierte Vergnügen der Herrschaften geschleppt.




Mit derartigen Überlegungen im Hinterkopf spaziere ich im Ritsurin - Park über die berühmte bogenförmige Brücke des aufsteigenden Mondes (Engetsukyo), lasse mich im Boot an einer künstlichen Insel im Fu - Sho - Teich mit kugelförmig gestutzten Azaleen vorbei rudern und genehmige mir im Schatten des Kikugetsu Teehauses einen Machatee mit ein paar Manjus dazu.