Dienstag, 18. September 2012

Zwei-Tage Kuraufenthalt in Nikko





In den letzten Tagen spüre ich eine etwas wehleidige, aber auch trotzige Abschiedsstimmung. Wiederholt fällt mir E.Jandls Gedicht ein:“ Hier hock ich nun, in letzter Lebensphase, ein Mensch, ein wenig Hund, ein wenig Hase. Auch das Bild des singenden Liebespaares, das rechts vorne auf P.Breughels „Triumph des Todes“ zu sehen ist taucht immer wieder auf, und der Tod als Gerippe dargestellt, deer hinter dem Paar auftaucht und ihr Lied von hinten unmerklich au seiner Geige begleitet.
Also stimme auch ich das krächzende Lied meines altersschwachen Endspurts an, das schaurige Lamento vom rhythmischen Knirschen arthrotischer Gelenke untermalt. „Auch im Kopfe, es knistert und knackt, mir scheint, dass da jemand die Koffer packt“ jammert der arme Heinrich Heine in seiner Matratzengruft.
Aber dann schneuze ich mich heftig, gebe mir einen Ruck und sehe zuversichtlich dem Ausflug mit Burgi und Florian, die ja auch nicht gerade Jugendliche sind, nach Nikko entgegen.
Tatsächlich, in den tiefgrünen geheimnisvollen Zedernwäldern, aus denen nach dem Regen die weißen Nebeldrachen aufsteigen und unsere frommen Wünsche zum Himmel tragen, erwartet mich Tröstung von meinem melancholischen Anfall.
Schon das Begrüßungsessen im traditionellen Nobelrestaurant und der Regenspaziergang durchs Gelände des ziemlich still wirkenden Tosho Gu sind Balsam auf meiner wehleidigen Seele.
In verregneter Dämmerung, kurz gegrüßt von den geschnitzten Affen und der Katze des linkshändigen Schnitzers, durch den tropfenden finsteren Zedernwald, fast schon im Jenseits angelangt, klettern wir die steile Treppe zum grab des großen Shoguns hinauf. Auch seine Macht löst sich im Abendnebel auf, schlussendlich auch nichts als Illusion.
Recht zufrieden hatschen wir, vorbei an einem Reh, das Burgi am Waldesrand neben der Brücke entdeckt heim ins Park-Lodge und erfreuen uns an Yuba, diesen grauslichen Soja-Häuten und Rotwein bevor wir durch den stockdunklen Wald ins kleine Onsen gehen und uns in der heißen Brühe entspannen.
Dann setzt sich die Nikko-Behandlung meines morschen Gemüts in der Morgensonne in der Gamman Ga Fuchi Schlucht erfolgreich fort. Die zahllosen, grün bemoosten barmherzigen Jizos mit ihren leuchtend roten Mützen ermutigen auch mich,  das frisch über die großen runden Felsen zur
Heiligen roten Shinkyo- Bogenbrücke dahinsprudelnde und schäumende Wasser trägt auch zur heilsamen Wirkung bei.
Bereits in der Kaiservilla Nikko Tamazawa erwacht mein kämpferischer Geist wieder und ich schimpfe auf all die Kaiser, Fürsten, Feldherrn, Päpste und Bankdirektoren in ihren edlen Prachtvillen, umgeben von traumhaften, gepflegten Gärten, was mir durch ein zur Schau gestelltes Fotoalbum das Bilder internationaler Prominenz, die den Showa-Kaiser Hirohito besuchten, zeigt.
Im Rinno Ji besuchen wir die großen, goldenen Buddhas und die den Tieren holde pferdeköpfige Bato, dann pilgern wir zur Quelle und den heiligen Zedern im Futarasan Ji. Unter den schamanischen gekreuzten Firstbalken geistert immer ein ähnlicher Märchenzauber durch diese Shinto-Schreine. Alte Hexer, unschuldige junge Mädchen, heilige Bäume, Quellen und Felsen. Auch hie zieht sich der Natur-und Landschaftsanimismus bis hinauf zu den Nebenschreinen beim Kegon-Wasserfall am Chuzenji-See und zum Gipfel des dahinter im Nebel verschwindenden Nantai-Sans.
Nachdem wir, recht begeistert , den Tai Yuin Byo mit dem Grab für Ieyasus Enkel Iemitsu durchschritten haben, verschwinden auch wir in den dunklen Falten der grünen Sykomorenwälder in die sich die auch grün bemoosten Laternenwälder der Tempel nahtlos fortsetzen.
Wie am Plafond der Haupthalle des Tayuin Byo steigen auch hie schon wieder einhundertvierzig Drachen zum Himmel, diesmal führen sie auch meine Gebete für Lena und Leos Glück mit sich.
Beim Tempel der Wassergöttin an einem Bachufer kehren wir um und kehren, vorbei an der Höhle mit den Statuen unter der Felswand wieder zurück nach Nikko, dem Ursprung der Sonne und weiter nach Ueno.
Dort wage ich mich, zwar schon etwas müde, doch noch in den Go-Club und darf drei Partien gegen ein Spieler mit dem 5.Dan spielen, eine große ehre für einen dahergelaufenen Ausländer.

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